Hammer oder Spritze?

Der alltägliche Wahnsinn

Golf November – II

Fünf Uhr, der Piepser geht.

Fünf? Naja, immerhin fast zwei Stunden geschlafen.

„25 Jahre, REA“

Um die Uhrzeit? In der Stadt? Maaan. Drogen, sicher. Wird nie was.

Weil nebenan es um die Einsatzzeiten ging schau ich auf die Uhr. 1:32. Von Bett bis Status 3.  Kann man nicht meckern. Schon gar nicht um die Uhrzeit.

Die Straßen leer, die Anfahrt schnell.

Das sieht aber nicht wie Drogenmilieu aus.

Eine junge Frau. Reanimation am Laufen. Zugang liegt. Pupillen: Weit.

Fuck.

„Was geht?“

Jung, keine Erkrankungen. Nur morgens Hyperventilationen.

Seit wann kriegt man von Hyperventilation einen Stillstand?

Einer der Helfer kniet in Unterhosen da. Arbeitet. Ein Profi.

Ich denke: Wo kommt der denn her? Ein Nachbar?

Im EKG flimmert es.

„Supra. Gib Zwei.“

„Schock“ – „200, biphasisch?“ – „Ja“

„Nochmal“

Da, ein Rhythmus.

Weia sieht das übel aus. Sah es schon vorher, aber was da am Monitor ist, reicht für Eiswasser in den Adern. Breit, unregelmäßig… aber:

„Ich hab einen Carotispuls!“ – „Ganz schwach, da ist was peripher“ – „Ich messe einen Druck: 70 systolisch“ – „Wir haben eine Sättigung: 94%“

„Soll ich die Trage klar machen“ – Der Typ in Unterhosen.

Er passt nicht ins Bild. Ruhig, konzentriert, schnell… aber in Unterhosen. Ein Profi. Weiß, was er tut, wann was zu tun ist. Und tut es. Vom Fach.

„Druck steigt. 70 systolisch“.

Pupillen? Besser. Nicht doll. Aber keine Riesenpupillen mehr.

Was zum Teufel ist hier los? In dem Alter stirbt man nicht einfach so.

Ich lüge mich an: Nicht in meiner Schicht! Aber ich weiß, das ist gelogen.

„Tubus“ – Cormack I°. Kein Thema. Hab ich schon schlimmere Intubuiert.

Das EKG springt um. Wieder Flimmern.

„Schock.“ – „Alle weg!“

Wieder Rhythmus.

Grausam sieht das aus. Breite QRS, arrhythmisch, zwischendrin sieht es aus wie VT.

Aber…

Ich glaub die werden schmaler.

Irgendwie zwischendrin einen dicken Zugang in die Carotis externa gejagt. Sitzt.

Warum klappt das wie geleckt nur dann, wenns um was geht? Wurscht, gut, daß es so ist.

Sättigung klettert. 100. Mehr ist nicht. Pupillen jetzt eng.

ein Quentchen Hoffnung

Der Typ in Unterhosen IST vom Fach. Hat alles vorbereitet. Wir tragen ins Auto, Kreislauf ist so lala, aber es kommt eine solide Kurve in der Sättigung an. Das EKG wird besser. Pupillen jetzt eng.

Scheiss auf Dokumentation, mach ich nachher. Ab der Fisch.

Schockraum. Die sind oft pelzig da, aber wenns um was geht, lassen sie die Puppen tanzen. So auch jetzt.

Kaum drin, hält schon einer den Schallkopf auf die Brust.

Ich sage, was ich weiß, drücke die EKG-Streifen in die Hand, während die Maschinerie richtig auf Touren geht.

Soft Skills sind in dem Laden manchmal knapp, aber wenns um die Wurscht geht, will ich nirgends anders hin.

Wenns um was geht, können die Jungs und Mädels da es ECHT krachen lassen. Profis von der echten Sorte. Maulen, wenns Firlefanz ist, aber wenns um was geht lassen sie die Kuh fliegen. RICHTIG.

Meine Adrenalinpumpe läuft leer. Ich muß aussehen wie der lebende Tod. Wenn sogar der Ober mich zu einem Kaffee schickt.

Auf dem Weg nach draussen treffe ich den Typ in Unterhosen (mittlerweile vollständig angezogen). Es ist der Freund. Und vom Fach. Hat direkt mit der Reanimation begonnen.

Jetzt ist er nicht mehr cool. Aber als es darauf ankam hat er die Arschbacken zusammengekniffen und war Profi. Ein Held. Wenn sie das übersteht, verdankt sie das ihm.

Jetzt darf er zerfallen.

Wir nicht. Wir machen die Kiste wieder klar, schütteln uns die Hände. Melden uns wieder frei.

Status Eins.

Besondere Vorkommnisse:

Keine.

15. Oktober 2010 - Posted by | Daily Buisness, Golf November, Notarzt, Notfall | , , ,

24 Kommentare »

  1. Mir läufts gerade ein bisschen kalt den Rücken runter..wunderbar geschrieben..und hoffen wir das Beste…

    Kommentar von alltagimrettungsdienst | 15. Oktober 2010 | Antworten

    • Ich mach den Job nicht erst seit gestern.
      Normalerweise gelingt es mir, die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen.

      Diesmal nicht.

      Kommentar von Kormak | 15. Oktober 2010 | Antworten

  2. ach du scheisse… o_O …aber richtig gut geschrieben, wirklich!

    Kommentar von Patrick | 15. Oktober 2010 | Antworten

    • Ich schreibe, was mich bewegt, aus der hohlen Hand.
      Der beschriebene Fall war heute morgen.

      „Frei von der Leber weg“. Denn DIE Kiste liegt mir erstmal auf den Eingeweiden.

      Da liest keiner Korrektur.

      Wenns die Tastatur hergibt und die Rechtschreibprüfung nix zu maulen hat, gehts raus.

      Aber danke.

      Kommentar von Kormak | 15. Oktober 2010 | Antworten

  3. Respekt für den Freund. Der klare Kopf in Notsituationen jeder Art ist das, wofür ich Pflegepersonal aller Sparten am meisten schätze.
    Erfährt man (- also in dem Fall: du) was passiert ist, woher das kam? Du sagst ja selbst – in so einem Alter stirbt man nicht einfach so.

    Kommentar von Mocca | 15. Oktober 2010 | Antworten

    • Ich bleib dran.

      In der Situation SO einen klaren Kopf zu haben ist fast schon unmenschlich.

      Kommentar von Kormak | 16. Oktober 2010 | Antworten

  4. Oh, Wahnsinn…

    Kommentar von Hermione | 15. Oktober 2010 | Antworten

  5. Super geschrieben… lass uns wissen, wie’s ausgegangen ist!!!

    Kommentar von anna | 15. Oktober 2010 | Antworten

    • Bis jetzt suchen sie nach einer Ursache für eine lange Q-T-Zeit.
      Würde passen.
      Ich nerv die ITS morgen wieder….

      Kommentar von Kormak | 15. Oktober 2010 | Antworten

  6. […] This post was mentioned on Twitter by Hermione Granger, Kinomaniac, Anja Stagge, Hermione Granger, muhkuh2006 and others. muhkuh2006 said: RT @alltagimrettung: Bitte mal unbedingt lesen RT @Kormark Golf November – II http://tinyurl.com/345vcc6 […]

    Pingback von Tweets that mention Golf November – II « Hammer oder Spritze? -- Topsy.com | 15. Oktober 2010 | Antworten

  7. Puh, krasser Einsatz. Da schwitzt man echt mit und kann sich auch wirklich vorstellen, dass man das nicht gleich aus dem Kopf kriegt.
    Aber so kann es leider nur laufen, wenn Ersthelfer/Freunde/Bekannte sofort mit der Rea beginnen. Ansonsten hätte sie das vermutlich nicht so weit geschafft.
    Hast Du schon etwas gehört, wie es ihr mittlerweile geht?

    Kommentar von Der Krangewarefahrer | 15. Oktober 2010 | Antworten

    • Sowas geht nur mit Ersthelfern. Aber nicht nur.

      Ohne gute Rettungsjungs und -Mädels reiss ich auch als Notarzt nix.

      Die Nacht hatte es in sich. War ja nicht die einzige Rea. Und ich hatte das Glück jedesmal wirklich hochkompetente Leute dabei zu haben. Das ist kein „given“ hier.
      (Die hier direkt brauchen mich eigentlich nicht. Auf die lass ich NIX kommen. Aber wir haben einen Umkreis, da kanns anders aussehen. Muß nicht, da sind auch gute. Aber auch Pflaumen)

      BEIDE (erfolgreiche!) Reas heute Nacht hatten Glück. Da waren richtig gute Teams am Start. Als NA ist man da nur noch Beiwerk, muß eigentlich nur noch die Spitze des Eisbergs polieren.

      Profis eben.

      Kommentar von Kormak | 16. Oktober 2010 | Antworten

      • Natürlich ist das Team auch sehr wichtig, das wollte ich auch gar nicht abstreiten. Wenn ich einen Kollegen dabei habe, der nichts taugt, oder einen Doktor, der nichts macht, kann ich das Ganze auch sein lassen bzw wird es immens schwer, zum gleichen Outcome zu kommen wie mit einem perfekten Team.
        Wenn nicht jeder weiß, was er tut und nicht jeder auf die Arbeit der anderen aufbauen und sich darauf verlassen kann wird es einfach echt stressig.
        Wir haben hier als Außenwache, je nachdem, wo es hin geht, mit 8 verschiedenen NEFs und in der Regel 2, selten aber auch 3 oder 4 verschiedenen RTHs zu tun. Da kommt es dann auch öfter vor, dass man sich nicht kennt, was die Sache dann auch noch etwas erschwert. Und dann muss man sich einfach darauf verlassen, dass die Leute fit sind in dem, was sie da tun. Leider gibt es bei den Notärzten aber auch einige schwarze Schafe, aber wo gibt es die nicht?

        Kommentar von Der Krangewarefahrer | 16. Oktober 2010

  8. Oh. Jetzt bin ich noch total neugierig was die gute denn nun hatte und ob sie überlebt hat.

    Kommentar von Kat | 16. Oktober 2010 | Antworten

    • Glaubs mir, ich auch.

      Kommentar von Kormak | 16. Oktober 2010 | Antworten

  9. Das liegt schwer im Magen.
    Gibt es schon (gute) Neuigkeiten?

    Kommentar von dianaswelt | 17. Oktober 2010 | Antworten

  10. Großes Lob erstmal zu dem Text. Hat echt gefesselt!

    Super Leistung sowieso, davon ist keine Rede.

    Jetzt will man echt nur noch wissen, wie es dieser jungen Dame geht.

    Kommentar von psychiater in spe | 17. Oktober 2010 | Antworten

    • Alles noch in der Schwebe. Noch ist nicht alles verloren, aber noch auch nichts gewonnen.
      Ich nerv die schon täglich.

      Kommentar von Kormak | 17. Oktober 2010 | Antworten

      • ping.

        Kommentar von Bernd | 25. Oktober 2010

      • Pong

        Kommentar von Kormak | 26. Oktober 2010

  11. Mhm.. und nu?

    Kommentar von svuechiatrie | 4. November 2010 | Antworten

    • Letzte Informationen waren nicht gut.
      Die Theorie ist, daß der Freund nur die letzten Zuckungen reanimiert hat, weil er es vorher auch nicht bemerkt hat.

      Immer noch übel und geht mir auch noch nach. Wollte die Geschichte heute erzählen, aber der Kloß im Hals ist gigantisch.

      Nicht schön.

      Kommentar von Kormak | 4. November 2010 | Antworten

  12. puh, ich ziehe den hut vor dem freund! das pure agieren ist das eine, das verarbeiten danach das andere … beides nicht leicht.
    ich persönlich finde, dass es als ersthelfer immer schwerer zu verarbeiten ist als wenn man als rd kommt. und wenn man die person dann noch kennt …
    oh man …

    Kommentar von resuscianne | 15. November 2010 | Antworten

  13. Da läuft es einem bereits beim Lesen eiskalt über den Rücken.

    „Wenns um was geht, können die Jungs und Mädels da es ECHT krachen lassen. Profis von der echten Sorte. Maulen, wenns Firlefanz ist, aber wenns um was geht lassen sie die Kuh fliegen. RICHTIG.“

    Darauf kommt es ja auch an. Mir wäre es egal, wie sich jemand sonst benimmt, sobald er im Ernstfall über seinen Schatten springt und nur noch präsent ist.

    Es ist schön, wenn ein Team gut zusammenarbeitet, sogar noch mit dem Ersthelfer zusammen, aber selbst dann reicht es manchmal nicht… und das ist bitter. Für diesen Job muß man schon geeignet sein. Hut ab für alle Beteiligten.

    Kommentar von arzt4empfaenger | 26. November 2010 | Antworten


Hinterlasse eine Antwort zu Kormak Antwort abbrechen